Nach nunmehr zwei Monaten mit verschärften Kontaktbeschränkungen möchte ich ein kurzes Resümee über die Veränderungen beim Coaching in meiner Praxis ziehen. Video- und Telefoncoaching sind in kürzester Zeit Instrumente meiner Arbeit geworden. Und aus heutiger Sicht werde ich sie auch weiterhin als ergänzende Methoden nutzen, wenn die aktuelle „Krise“ beendet ist. Im Folgenden also eine kurze Darstellung der Entwicklung und eine Bewertung der jüngsten Veränderungen.
Der Lockdown der Gesellschaft im März hatte massive Auswirkungen auf den mentalen und physischen Zustand meiner Klienten und auf deren soziales und materielles Umfeld. Einzelne Branchen mussten für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit anordnen, in anderen Branchen entstand eine enorme Zusatzbelastung, Soloselbstständige wussten teilweise nicht mehr, wovon die nächste Miete bezahlt werden sollte und Eltern gerieten durch die Doppelbelastung aus Homeoffice und Homeschooling an ihre Grenzen. Und das Ganze wurde durch die Angst vor Ansteckung für sich selbst oder Freunde und Verwandte in Risikogruppen noch verstärkt.
All diese Faktoren hatten ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Arbeit in meiner Praxis. Zunächst einmal wurden sehr viele Termine abgesagt. Verständlich – jeder hatte, oberflächlich betrachtet, zunächst einmal drängendere Probleme als die „Persönlichkeitsentwicklung“. Gleichzeitig bestanden angesichts der verhängten Kontaktbeschränkungen Bedenken, mich persönlich aufzusuchen. Und es ist aus meiner Sicht auch nachvollziehbar, dass ein Klient aus Berlin in Corona-Zeiten nicht vier Stunden mit Mundschutz in einem ICE reisen will, um eine Coaching-Sitzung in Erfurt wahrzunehmen.
Auch für mich waren ganz schnell einige Fragen zu klären:
- Darf ich meine Praxis eigentlich weiter offenhalten? – Ja, als Heilpraktikerin für Psychotherapie gehört meine Praxis zu den Einrichtungen im Gesundheitswesen, deren Betrieb (unter Einhaltung der Hygienevorschriften) weiter zulässig bleibt.
- Wie erreiche ich meine Klienten? – Da die Möglichkeiten des persönlichen Kontakts deutlich eingeschränkt waren, habe ich begonnen, Coachingsitzungen auf dem Weg der Video- oder Telefonkonferenz anzubieten. Hierzu waren einige Investitionen in Hard- und Software notwendig.
- Können mich neue Klienten erreichen? – In den letzten Jahren habe ich intensiv an meinem Onlineauftritt gearbeitet, so dass immer ein Weg zu potenziellen Klienten offensteht. Problematisch ist die Durchführung des Erstgesprächs zur Anliegenklärung. Dieses möchte ich eigentlich ausschließlich im persönlichen Kontakt durchführen, um ein Gefühl für den Klienten und dessen Anliegen zu bekommen. Gleichzeitig erhält der Klient die Möglichkeit, festzustellen, ob „die Chemie stimmt“, also ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann.
Insgesamt waren die ersten Wochen auch für mich mental herausfordernd. Die eingeschränkten Möglichkeiten der Präsenzarbeit, die Herausforderungen von Videocoachings und die Ungewissheit, wie der Betrieb auf Dauer aufrechterhalten werden kann, führten zu einer erheblichen Belastung. Nach nunmehr zwei Monaten im „Krisenmodus“ lässt sich aus meiner Sicht aber ein erstes, positives, Resümee ziehen:
Punkt 1Das Coaching im persönlichen Kontakt kann durch technische Methoden nicht vollständig abgelöst werden. Beim persönlichen Coaching stellt meine Praxis einen „geschützten Raum“ dar, in dem der Klient sich viel leichter auf den Coachingprozess einlassen kann. Gleichzeitig bin ich als Coach eher in der Energie des Klienten und kann so sehr spezifisch auf die Anliegen des Klienten eingehen.
Bestimmte Methoden lassen sich aus meiner Sicht ausschließlich im persönlichen Kontakt anwenden. Dies betrifft vor allem die Hypnose, verschiedene Verfahren des Mentalcoachings und des systemischen Coachings. Die Anwendung dieser Verfahren über Medien (Video, Telefon) ist im besten Fall von eingeschränkter Wirksamkeit. Im schlimmsten Fall kann z.B. eine Fernhypnose, sofern bereits psychische Störungen vorliegen und nicht erkannt werden, noch größere Probleme verursachen.
Und nicht zuletzt ist ein persönliches Erstgespräch die für beide Seiten effektivste Möglichkeit herauszufinden, ob ein Coaching sinnvoll durchzuführen ist und zwischen mir und dem potenziellen Klienten das notwendige Vertrauensverhältnis hergestellt werden kann. Zudem ist der Ausschluss von psychischen Erkrankungen, bei denen sich ein Coaching verbietet, aus meiner Sicht im persönlichen Kontakt besser möglich.
Punkt 2Das Videocoaching kann in vielen Teilbereichen eine sinnvolle und effektive Ergänzung sein.
Wenn es dem Klienten gelingt, in seinem persönlichen Umfeld für die Zeit des Videocoachings einen „geschützten Raum“ ohne Störungen herzustellen und die technischen Voraussetzungen ausreichend sind, können auch im Videocoaching gute Ergebnisse erzielt werden. Hierbei wäre es allerdings kontraproduktiv, wenn der Klient z.B. das Coaching am selben Arbeitsplatz durchführen würde, der erst die Ursache für das Problem darstellt.
Ein eingeschränkter Methodenkatalog ist auch für das Videocoaching geeignet. Und dank der technischen Möglichkeiten kann man sogar ein Whiteboard als Flipchartersatz in die Sitzung integrieren.
Für bestimmte Anliegen und vor allem für eine schnelle Krisenintervention ist das Videocoaching dem Besuch in meiner Praxis mindestens ebenbürtig, eventuell sogar vorzuziehen.
Und nicht zuletzt ist das Videocoaching natürlich ohne zusätzliche Reisezeiten und -kosten abzuwickeln. Zusätzlichen Ansteckungsrisiken im ÖPNV kann man aus dem Weg gehen.
Nach einer anfänglichen Zurückhaltung haben die meisten meiner Klienten das Coaching wieder aufgenommen. In Abhängigkeit vom Anliegen und den persönlichen Präferenzen der Klienten entsteht ein ganz individueller Mix aus Präsenz- und Videocoaching. Die letzten zwei Monate haben mir wieder einmal gezeigt, dass jede Herausforderung gemeistert werden kann, wenn man bereit ist, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und seinen (neuen) Weg zu finden.
Viele Grüße und bleiben Sie schön gesund!
Ihre Kerstin Gaßmann